1. Welche Kinder werden an einer Waldorfschule angenommen?
Grundsätzlich stehen allen Kindern unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht und Einkommen der Erziehungsberechtigten. Nach ausführlichen Gesprächen, den sogenannten Info-Stunden, findet für jedes Kind ein Aufnahmegespräch an der Schule statt.
2. Worin unterscheiden sich Waldorfschulen überhaupt von anderen Schulen?
Waldorfschulen wollen gleichermaßen intellektuelle, kreative, künstlerische, praktische und soziale Fähigkeiten bei den Kindern und Jugendlichen entwickeln. Vom ersten Schuljahr an lernen Waldorfschüler zwei Fremdsprachen. Jungen und Mädchen stricken, nähen und schneidern gemeinsam in der Handarbeit und sägen, hämmern und feilen zusammen im Werkunterricht. In jeder achten und zwölften Klasse studieren sie ein anspruchsvolles Theaterstück ein und setzen sich in einer großen Jahresarbeit mit einem Thema ihrer Wahl in Theorie und Praxis auseinander. Die Fächer Gartenbau und Eurythmie sind feste Bestandteile des Lehrplans.
3. Wer war Rudolf Steiner und was hat er mit der Waldorfpädagogik zu tun?
Rudolf Steiner ist der Begründer der Waldorfpädagogik. Emil Molt, Besitzer der damaligen Waldorf Astoria Zigarettenfabrik, gründete mit ihm zusammen die erste Waldorfschule in Stuttgart. Inhalt und Methode der Waldorfpädagogik beruhen auf Rudolf Steiners Erkenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Neben der Pädagogik fanden Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Forschungen auch Eingang in die biologischdynamische Landwirtschaft, die Anthroposophische Medizin und die Kunst.
4. Muss ein Kind musisch oder künstlerisch begabt sein, damit es für die Waldorfschule geeignet ist?
Nein, aber ein gewisses Interesse wäre von Vorteil. An der Waldorfschule wird deutlich mehr künstlerischer, musischer und handwerklicher Unterricht gegeben. Diese Tätigkeiten sollen auch das intellektuelle Lernen unterstützen und die Entwicklung der Persönlichkeit fördern. Wenn Waldorfschüler an praktischen Aufgaben arbeiten, dann geht es nicht allein um das Ergebnis, sondern vor allem um die Erfahrungen, die sie während des Prozesses gemacht werden. Es ist nachgewiesen, dass z. B. Musik und Mathematik sich gegenseitig stützen und das sich bei künstlerischen-/handwerklichen Projekten so Fähigkeiten wie Konzentration, Durchhaltevermögen sowie auch Einfühlungsvermögen, Teamfähigkeit und natürlich Kreativität gefördert. Diese Fähigkeiten sind gerade in der heutigen Arbeitswelt unverzichtbar. Auch wenn es pädagogisch vor allem auf den Prozess ankommt, so wird doch Leistung und Anstrengung in diesen Fächern verlangt. Die Anforderungen an die entstehenden Produkte sind individuell hoch, sonst würde die Arbeit pädagogisch wirkungslos bleiben.
5. Stimmt es, dass es an der Waldorfschule keine Noten und kein Sitzenbleiben gibt? Sind die Kinder dann überhaupt zum Lernen motiviert?
Nicht für jedes Kind ist der Leistungsdruck gut. Im Gegenteil, sie können die Leistungsbereitschaft enorm hemmen. Wenn Leistungen nur erbracht werden, weil schlechte Noten oder gar Sitzenbleiben drohen, können manche Schüler kaum Freude zum Lernen entwickeln. Die Waldorfschule stimmt ihren Unterricht stets auf die jeweilige Entwicklungsphase der Schüler ab, was dazu führt, dass immer der Unterrichtsstoff angeboten wird, der auf ein gewisses “natürliches” Interesse stößt. Außerdem bemühen sich Waldorflehrer besonders darum, ihren Unterricht bildhaft und lebensnah zu gestalten. So sollen die Kinder und Jugendlichen nicht aufgrund eines inhaltsfremden Leistungsdrucks, sondern aus einer gesunden Motivation heraus lernen.
6. Ist Waldorfpädagogik nicht so etwas wie das Vorgaukeln einer heilen Welt? Kommen die Schüler später überhaupt mit der harten Realität zurecht?
In einer Schule, die nicht nur die intellektuellen Fähigkeiten anspricht, können sich Schlüsselqualitäten wie Teamfähigkeit, Kreativität und die Fähigkeit, prozessual zu denken, vom ersten Schultag an entwickeln. Waldorfschüler studieren und arbeiten erfolgreich in allen Studien- und Berufsfeldern. Die Praxis zeigt, dass auch Waldorfschüler von Arbeitgebern ebenso geschätzt werden.
7. Die Waldorfschulen nennen sich "freie Schulen". Heißt das, dass die Kinder dort antiautoritär erzogen werden?
Ganz klar nein. Nur wenn sie diese Grenzen von den Erwachsenen erfahren, fühlen sie sich einerseits sicher und erleben sich andererseits als eigene Persönlichkeit.
8. Was ist unter Epochenunterricht zu verstehen?
In den ersten beiden Stunden eines Schulvormittags im sogenannten Hauptunterricht behandeln Waldorflehrer ein Themengebiet über mehrere Wochen hinweg. So haben die Schüler zum Beispiel drei Wochen lang jeden Tag zwei Stunden Geschichte, dann wieder drei Wochen lang zwei Stunden Mathematik usw. Sie können sich auf diese Weise intensiv mit einem Themengebiet verbinden. Grundfertigkeiten wie etwa Rechnen oder Schreiben festigen die Schüler über den Epochenunterricht hinaus in fortlaufenden Übungsstunden.
9. Warum haben die Kinder in den ersten acht Schuljahren nach Möglichkeit ein und denselben Klassenlehrer?
In einer Gemeinschaft, die von Beständigkeit und Rhythmus geprägt ist, können Kinder sich gesund entfalten. Um ihnen darin eine verlässliche Stütze zu sein, begleitet ein Waldorf-Klassenlehrer seine Klasse nach Möglichkeit acht Jahre lang durch den Hauptunterricht, der die ersten beiden Stunden eines Schulvormittags in Form von Epochenunterricht umfasst. Dabei lernt er seine Schüler sehr gut kennen und kann individuell auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.
10. Kann ein Lehrer überhaupt in allen Fächern qualifiziert unterrichten?
Eine gute Allgemeinbildung, pädagogisches Handwerkszeug und hohes Engagement setzen den Waldorflehrer in den Stand, einen auch inhaltlich qualitativen Unterricht zu geben. Außerdem ist der Aufbau einer guten, vertrauensvollen Lern- und Arbeitsatmosphäre für den Unterrichtserfolg wichtiger als das letzte Quäntchen Detailwissen. Eine solche Atmosphäre lässt sich jedoch nur schaffen, wenn die Beziehung zwischen Lehrer und Schülern eine Langfristige und Verlässliche ist.
11. Lernt man an einer Waldorfschule genug?
Die Waldorfschule bietet ein vielfältiges Unterrichtsangebot. Es werden praktische Fertigkeiten vom Stricken bis zum Tischlern vermittelt, künstlerische Fächer wie Malen, Musik und Plastizieren haben genauso ihren festen Platz im Stundenplan wie alle anderen üblichen Lernfächer.
12. Werden die Kinder an der Waldorfschule weltanschaulich unterrichtet
Die Waldorfschule ist konfessionell nicht gebunden. Sie versteht sich als eine im Grundsatz christliche Schule. Deshalb ist für alle Kinder an der Waldorfschule christlicher Religionsunterricht verbindlich. Rudolf Steiners geisteswissenschaftliche Erkenntnisse selbst sind zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Unterrichts. Die Anthroposophie ist eine Geisteswissenschaft, die zu ihrer Erkenntnis den erwachsenen Menschen voraussetzt. Es ist nicht die Intention der Waldorfschule, ihre Schüler in irgendeine bestimmte weltanschauliche Richtung zu drängen. Es wird im Gegenteil allergrößter Wert darauf gelegt, zum eigenständigen, unvoreingenommenen und kritischen Denken und Urteilen anzuregen.
13. Spielen die Naturwissenschaften an der Waldorfschule eine ausreichend wichtige Rolle? Wie stehen die Waldorfschulen zum Umgang mit dem Computer?
Das Waldorfschüler nichts mit Computern und Neuen Medien zu tun haben “dürfen” ist ein weitverbreitetes Vorurteil. Richtig ist, dass die Waldorfschule vehement dafür eintritt, Kinder nicht zu früh mit Informationstechnik und elektronischen Medien zu konfrontieren, weil die Persönlichkeitsentwicklung gerade in den entscheidenden Jahren bis zur beginnenden Pubertät hauptsächlich über die Auseinandersetzung mit einem menschlichen Gegenüber stattfinden sollte. Zum Ende der Mittelstufe aber und vor allem in der Oberstufe gehört die intensive Beschäftigung mit den Grundlagen der modernen Informations- und Kommunikationstechnik zu den Selbstverständlichkeiten. Dabei sollen die Schüler nicht nur die Handhabung des Computers und konkrete Anwendungsprogramme erlernen, sondern auch die technischen Grundlagen des Computers verstehen. Außerdem setzen sie sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologie und ethischen Fragen der Forschung auseinander.
14. Was ist "Eurythmie"?
Das Wort Eurythmie stammt aus dem Griechischen:
„Eu“ steht für schön, gut und wohl.
„Rhythmos“ für das Zeitmaß, Ebenmaß und für die Gestalt.
Das Verb „rheo“ gibt in seiner Grundform Aufschluss über
das Fließende, das Strömende an der „Gestalt“.
Die Eurythmie gehört zu den künstlerischen Fächern. Wie man beim Malen den Pinsel und die Farbe als Werkzeug braucht und in der Musik das Instrument, so wird in der Eurythmie der eigene Körper zum künstlerischen Bewegungs-Werkzeug. Man lernt dabei z. B. zu jedem musikalischen Ton oder zu jedem Laut der menschlichen Sprache eine bestimmte Bewegungsgebärde und kann dann ganze Gedichte oder Musikstücke künstlerisch zur Darstellung bringen.
Eurythmie wird in der Waldorfschule als sehr wichtig erachtet, da es den mit Informationen überlasteten Schüler in einer anderen Weise behilflich ist, den gelernten Stoff zu verarbeiten. Außerdem wird in der Eurythmie die linke Gehirnhälfte sehr stark in Anspruch genommen, um so einen wichtigen Ausgleich zu schaffen, der das Lernen erleichtert.
In der Unterstufe werden einzelne Gedichte, Geschichten und Musikstücke eingeübt, um dem Kind einen gewissen Sinn für Sprachgestaltung und Musik zu verleihen. Das Erkennen und Umsetzen von Formen der Sprache und der Musik sowie das Orientieren im Raume steht im Mittelpunkt des Unterrichtes in der Mittelstufe. In der Oberstufe geht es nun darum, mit Hilfe der Eurythmie Stücke einzustudieren, welche man sich anhand musikalischer und sprachlicher Werke erarbeitet hat.
15. Kommt nicht die Vorbereitung auf die (staatlichen) Schulabschlüsse zu kurz, wenn es so viele Praktika und künstlerisch-handwerkliches Arbeiten gibt?
Für Erfolg oder Misserfolg sind vielmehr ganz individuelle Fähigkeiten ausschlaggebend: Selbstbewusstsein, konzentriertes Arbeiten, Erkennen des Wesentlichen, eigenes Urteilsvermögen. Und diese Fähigkeiten werden durch künstlerische und handwerkliche Arbeit, durch Theaterspiel und Projekte, durch öffentliche Auftritte und Praktika an der Waldorfschule intensiv geschult. Der Lehrplan der Waldorfschule, bietet trotz der vielen zusätzlichen Fächer und Aktivitäten die vollständige Palette des Wissens bietet.
16. Eine Waldorfschule muss doch zum Teil von den Eltern finanziert werden - wie ist das mit dem Schulgeld geregelt?
Für die Waldorfschulen werden deutlich geringere Beträge aufgebracht als für staatliche Schulen. Diese Finanzierungslücke müssen wir mit dem finanziellen Engagement der Eltern schließen. Auf der Basis von Betriebsabrechnungen ermittelt sich für unsere Schule ein Schulgeldsatz von z.Z. Eltern, die nicht in der Lage sind diese Sätze aufzubringen, können nach Finanzgesprächen Reduktionen erhalten. Diese Gespräche werden nicht mit den Aufnahmelehrern geführt, sondern mit Vertretern des Arbeitskreises Finanzgespräche. Dieser Arbeitskreis besteht ausschließlich aus Schülereltern. Es ist ein Prinzip der Waldorfschule, kein Kind aus finanziellen Gründen abzulehnen.
17. Wie erhalten die Eltern Einblick in das Schulgeschehen?
An den Schulen finden regelmäßig öffentliche Veranstaltungen statt, darunter auch öffentliche “Monatsfeiern”. Regelmäßig finden für interessierte Eltern Veranstaltungen zur Einführung in die Waldorfpädagogik statt. Am Anfang eines jeden Schuljahres gibt es speziell für Eltern der ersten Klassen die Möglichkeit, in kleinen Kursen die einzelnen Unterrichtsinhalte kennenzulernen. Jedes Jahr findet ein offizieller Eltersprechtag statt, an dem die Lehrer für persönliche Elterngespräche zur Verfügung stehen. Man kann sich aber auch jeder Zeit an den Klassenlehrer oder an die Fachlehrer seines Kindes wenden, um Fragen zu stellen und Probleme zu klären. Außerdem werden häufig Elternabende veranstaltet, bei denen es nicht nur um organisatorische Fragen geht, sondern auch um pädagogische Fragestellungen, die die jeweilige Klassenstufe betreffen.
18. Was sind öffentliche Monatsfeiern?
Die Monatsfeiern finden heute nicht mehr monatlich, sondern in größeren Zeitabständen statt. Zur Zeit findet zweimal jährlich, im September zum Michaelifest und im Mai zum Frühling eine öffentliche Monatsfeier statt, zu denen Eltern und Freunde der Schule eingeladen sind. Außerdem gibt es im Dezember und zum Ende des Schuljahres im Juni oder Juli eine “musikalische Monatsfeier”, ein Konzert der ganzen Mittelstufe. Im Februar findet anlässlich des Faschings eine weitere, allerdings schulinterne Monatsfeier statt. Die Monatsfeiern geben den Klassen eine Gelegenheit, etwas von dem, was sie an Gedichten und kleinen Spielen im Hauptunterricht und im Fremdsprachenunterricht geübt haben, den anderen Klassen in der Aula vorzuführen. Aber auch Eurythmievorführungen, Beiträge des Mittel- und Oberstufenorchesters sowie des Schulchores stehen auf dem Programm.
19. Wie werden die Jugendlichen in der Oberstufe auf die Berufswelt vorbereitet?
In der Oberstufe unterrichten in allen Fächern akademisch beziehungsweise handwerklich ausgebildete Lehrer die Jugendlichen. Die praktischen Fähigkeiten, die die Schüler sich über die gesamte Schulzeit hinweg angeeignet haben, finden von der achten Klasse an Ergänzung durch diverse Praktika: In einem Landwirtschafts- und einem Forstpraktikum, einem Feldmess-, einem Betriebs- und einem Sozialpraktikum erhalten die Schüler eine ausgesprochen lebensnahe Ausbildungsgrundlage. Dabei liegt der eigentliche Sinn der Praktika nicht in der Berufsfindung, sondern vor allem im Erüben wichtiger sozialer Fähigkeiten.
20. Kann man an der Waldorfschule mitarbeiten?
Ausdruck des aktiven Lebens an unserer großen Schule sind die vielfältigen Möglichkeiten zur Mitarbeit der Eltern. Zum einen gibt es oft im Verlaufe eines Schuljahres bestimmte Aufträge an die Eltern, um bevorstehende Schulfeste, wie z. B. den Wintermarkt mitzugestalten. Da gibt es den Auftrag, den Klassenraum auszugestalten. Mal muss Kuchen gebacken werden, dann müssen vielleicht Kostüme genäht werden. Dies alles wird während der Elternabende besprochen und jede und jeder kann sich hier entsprechend eigener Interessen einbringen.